Die Heimlichtuerei kotzt mich an. Sie ist belastend.
Unendlich belastend. Ich hasse es zu lügen. Und doch kann ich damit nicht
aufhören.
Ich war
viel zu sehr in Gedanken und merkte daher nicht wie mein Knöchel umknickte und
ich das Gleichgewicht verlor. Ich wäre fast auf die Straße gefallen, hätte mich
nicht jemand in letzter Sekunde aufgefangen. Mein Körper verkrampfte sich unter
den starken Händen, die sich um meine Rippenbögen gelegt hatten.
„Was ist
denn los?“
Blitzartig
drehte ich mich herum, nur um in das mir so vertraute Gesicht von Andrew zu
sehen.
„Mir
geht’s blendend.“
„Das
sehe ich.“ Seine Ironie war nicht zu überhören. Er lockerte seinen Griff und
als ich daraufhin nicht zur Seite fiel, ließ er mich los. Er blickte zu Boden,
auf meinen Knöchel, und seiner Mimik nach zu urteilen, sah dieser nicht
besonders schlimm aus. „Kannst du auftreten?“
„Ja, ist
ja nichts passiert.“ Ich machte einen kleinen Schritt um ihm zu demonstrieren,
dass alles in Ordnung war.
„Du
sagst so oft, es sei alles okay, und dann stimmt es nicht.“
„Aber
diesmal ist es wahr.“ Halbwegs.
„Man
sieht dir doch an, dass du dich beschissen fühlst.“
Wie zu
einer Salzsäule erstarrt stand ich da.
„Aber
wenn du nicht reden möchtest, dann kann ich auch nichts für dich tun.“ Er
bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick und ging dann weiter, ließ mich so
verloren wie ich war einfach stehen.
Ich
setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und lief wie in Zeitlupe den Gehweg
entlang als ich plötzlich eine funkelnde Glasscherbe vor mir liegen sah. Noch
ehe ich darüber nachdenken konnte hatte ich
mich auf den Bordstein gesetzt, die Scherbe in der Hand.
Ich bin nur ein kleines Stückchen Dreck. Bin unbedeutend
für diese Welt. Bin kaputt wie dieses Stück Glas, einfach zerbrochen.
Ein Bluttropfen
quoll hervor, und dann konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich packte das
Glas fester. Der Splitter war scharf, beinahe auf der Stelle floss das Blut.
Auf den Boden. Aus mir heraus.
Der
Schmerz ließ mich scharf die Luft einziehen. Aber zugleich brachte er mir Erleichertung. All die Gedanken, die
Gefühle, all das was zu viel war, all das was mir weh getan hat, was
unverstanden in mir blieb, all das kam nun nach aussen.
In Form eines
kleinen roten Stromes.
Ich spürte
wie sich der Druck in mir langsam auflöste und ich wieder freier atmen konnte. Es
war befreiend, ja fast hätte ich den Streit mit Andrew vergessen. Aber nur
fast. Denn negative Dinge behielt ich immer in Erinnerung, egal wie klein sie
waren.
Ich nahm
meine Ballerinas in die Hand, ließ die Scherbe auf dem Gehweg liegen und tupfte
mit einem Taschentuch das Blut von meinem Fuß. Doch sobald ich es wegnahm
strömte eine neue Welle aus mir heraus.
Es interessierte
mich nicht, was die Leute dachten. Ich wollte einzig und allein in mein Bett
und mich unter der Decke verkriechen. Ich richtete mich auf und humpelte den
Gehweg entlang. Ganz langsam, mein Fuß tat höllisch weh wenn ich mit ihm
auftrat. Die roten Tropfen, die ich hinterließ, waren ein Zeichen für meinen
Schmerz, welcher in meinem Inneren wütete.