"Puts on her best smile, but underneath she's a broken girl."

Donnerstag, 27. September 2012

Ich, das kleine Miststück


 „Du kleines Miststück“,  erklang die scharfe Stimme meines Vaters. „So etwas Unwichtiges wie dich gibt es nirgendwo anders.“
Ich zuckte zusammen, lehnte mich an die Wand, welche hinter mir stand und mir Halt bot. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht-“
Doch er redete einfach weiter, brachte meine kindliche Welt zum Einstürzen. „Du denkst wohl ich höre es nicht, wenn du in deinem Zimmer bist und mit deinem Teddy sprichst. All die bösen Worte, die du über mich sagst. Woher hast du die?“
Von dir.  Ich presste meine Ärmchen gegen meine Brust, ich wollte mir nicht die Blöße geben und weinen. Das war nämlich das, was er wollte. Und ich war entschlossen ihm diesmal die Stirn zu bieten. Im zarten Alter von vier Jahren.
„Ich kann gerne verschwinden, wenn du das magst.“ Ich hielt mir die Hände vors Gesicht, war überzeugt davon nicht mehr da zu sein.

„Oh Gott. Ich kann nicht mehr. Diese ganzen Erinnerungen…“ Ein ersticktes Schluchzen kam aus meiner Kehle.
„Es gibt immer einen Ausweg, Lexy. Immer.“
Ich wollte ihr schon eine Erwiderung ins Gesicht schmettern, da legte sie mir plötzlich eine Hand aufs Knie. „Sie müssen sich nicht auf die Schienen schmeißen.“
Das ist richtig. Es gibt viele andere Möglichkeiten Suizid zu begehen.  
Ich sprang auf, stieß dabei fast den Sessel um. „Ich muss hier weg. Es tut mir leid.“
Luft, ich brauchte Luft. Mir war ganz schwindelig. Ich rannte aus der Praxis. Erschöpft ließ ich mich auf dem Gehweg nieder. Ich winkelte meine Beine an, umklammerte sie mit meinen Armen. Dann passierte das Unausweichliche. Ich fing bitterlich an zu weinen.
„Lexy.“ Ich hob den Kopf. Meine Therapeutin.
„Ich wollte nicht, dass Sie sehen wie schwach ich bin“, hauchte ich. „Es tut mir leid.“
Sie setzte sich neben mich. „Sie sind keineswegs schwach.“
„Sehen Sie mich doch an.“
Sie seufzte. Ein Auto fuhr heran, parkte vor uns. Ich sah auf.
„Ich wollte dich abholen…“ Andrew blickte fragend zu ihr herüber während ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte.
„Wir sind für heute fertig.“ Sie stand auf und sagte etwas leiser: „Passen Sie gut auf Lexy auf.“ Dann ging sie wieder herein.
„Tut mir leid, dass du mich so siehst…“ Ich stand auf, schwankte ein wenig und musste mich am Auto festhalten.

Montag, 17. September 2012

Mein Atem stockte


Im Treppenhaus krachte etwas auf die Steinfliesen. 
„Was…was war das?“, schrie ich entsetzt und sprang auf. Ohne das Licht anzumachen rannte ich zur Haustür und schaute nach, wer da stand.
„Das kann doch nicht wahr sein“, murmelte ich fassungslos vor mich hin.
Es war Andrews Tochter, die mir eine Hand hinhielt. Ich schüttelte den Kopf, als wäre das alles ein Produkt meiner Fantasie. Doch als ich zum zweiten Mal hinaus sah, stand sie noch immer da. Ihr weißes Gesicht war umrahmt von ihren dunklen Haaren, die mit einer rosafarbenen Schleife zusammengehalten wurden.
„Komm“, flüsterte sie mir zu und reichte mir ihre kleine Hand.
 Doch bevor ich mich von ihr mitziehen lassen konnte, knallte Andrew die Tür zu.
„Warum bist du so gemein zu ihr?“
„Zu wem?“ Er schien ernsthaft irritiert zu sein.
Zu deiner Tochter, die draußen vor der Tür steht.
„Du siehst aus als hättest du ein Gespenst gesehen.“
Sie war da. Davon war ich felsenfest überzeugt. Ich schaute ihm tief in die Augen und drückte die Klinke hinunter.
Sie war weg. Dort, wo Hayley eben noch gestanden hatte, war nun… nichts. Ich  suchte nach Fußabdrücken, irgendeinem Beweis, dass sie hiergewesen ist. Doch da war nichts.
Ich ließ die Tür ins Schloss fallen. „Ich dachte nur, ich hätte etwas gesehen…“
„Er ist gegangen, Lexy.“
Ja, ich weiß.
Ich spürte seine Fürsorge, die sich wie ein dunkler Vorhang über mich legte. „Möchtest du ein heißes Bad nehmen?“
Ähm, ich bin mir nicht sicher ob das eine gute Idee ist.
„Ich kann mich auch dazu setzen, wenn du möchtest.“
Klingt schon besser.
„Nicht dass du wieder Dummheiten machst.“
Das wäre durchaus möglich.
Er nahm meine Hand, zog mich ins Badezimmer. Ich kippte eine halbe Flasche Badeschaum mit Rosenduft in die Wanne und ließ heißes Wasser hinein fließen. Während ich mich auszog  holte er mir ein sauberes Handtuch vom Wäscheständer im Flur. Ich riss ungeduldig an dem Verband. Als er wiederkam lag ich schon in  dem rosafarbenen Schaum, der meinen Körper vollkommen bedeckte. Ich zwirbelte meine Haare zu einem Dutt, wie Ballerinas ihn tragen. Dann lehnte ich meinen Kopf an und schloss die Augen.
Wie gerne hätte ich jetzt gesagt, ich würde mich besser fühlen, befreiter. Aber das war nicht der Fall.
Ich öffnete meine Augen und sah Andrew in meinem Badezimmerschrank herumwühlen.
„Was suchst du?“
Er ließ eine Packung Raiserklingen fallen als er sich mir zuwandte.
Scheiße. Scheiße. Scheiße.
Das wars dann wohl.
Ich täuschte mich. Alles was er tat, war mir einen pseudo-verständnisvollen Blick zuzuwerfen und die Rasierklingen in den Mülleimer zu werfen. Sehnsüchtig blickte ich ihnen hinterher. Dann schaute ich an mir hinunter und hob meinen Fuß aus dem Schaumteppich. Die Wunde klaffte auseinander. Weit auseinander. Hätte genäht werden müssen. Aber egal.
Ich ließ mein Bein wieder in das Wasser gleiten und verspürte ein leichtes Brennen als der Schnitt in die chemische Rosenessenz  eintauchte.
Andrew setzte sich auf den Badewannenrand, fuhr mit seinem Zeigefinger über meine Stirn. „Du hast jemanden vor der Tür stehen sehen. Habe ich Recht?“
„Woher…weißt du das?“
„Dein Blick. Du hattest deine Augen weit aufgerissen, die Lippen fest zusammengepresst und dann deine Frage.“
Mir war elend zumute. „Es ist nicht so, dass ich Dinge sehe, die gar nicht existieren.“
„Vielleicht kommt es dir nur so vor und in Wahrheit war da niemand.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dein Vater war aber-“
„Es geht nicht um meinen Vater. Der ist mir sowas von gleichgültig.“
„Sag nicht, du hättest schon wieder Hayley-“
„Man Andrew. Kannst du mir nicht ein Mal glauben? Ein einziges Mal?“
„Sie ist tot. Ihre Leiche wurde im Wald gefunden.“
„Aber-“
„Ich habe sie identifiziert.“
Ich seufzte, wusste wie ausweglos diese Diskussion war. „Okay. Wenn du meinst sie stände im Treppenhaus, werde ich nachgucken.“ Er ging aus dem Bad, ließ die Tür aber offen so dass ich hören konnte, wie er die Tür aufmachte.
„Da ist nichts. Wirklich, da ist nichts. “, hörte ich ihn leise, kaum hörbar, wiederholen. Wie ein Mantra.
Mein Atem stockte. Ich hatte mich geirrt.

Freitag, 7. September 2012

Vielleicht. Vielleicht auch nicht.


„Du  kannst doch nicht…“
Andrew ließ das Messer sinken. „Lexy. Ich werde ihm nichts antun.“
Schade.
„Du dachtest doch nicht etwa ich wolle ihn erstechen?“
„Nein. Sowas hätte ich nie gedacht.“ Wenn ich nicht so eine marode Psyche hätte, fügte ich hinzu.
„Ist er weg?“ Auf jedem der drei Worte lag dieselbe eindringliche Betonung.
Andrew nickte.
Ich lief an ihm vorbei aus dem Zimmer und spähte durch den Spion. Tatsächlich, er war gegangen.
„Was hat er dir angetan?“
Ein Rinnsal von Tränen floss über mein Gesicht. Schwerfällig bewegte ich mich auf Andrew zu. Ich nahm ihm das Messer aus der Hand, hielt es an meine Kehle und tat so als schnitte ich sie durch. Anschließend gab ich es ihm zurück.
„Ich gehe duschen.“ Da hört man mein Weinen nicht.
„Du gehst nirgendwo hin.“
„Ähm…Lass mich überlegen. Doch.“ Ich wollte mich im Bad einschließen, hemmungslos weinen und eine weitere Erinnerung auf meinem Unterarm eingravieren.
Andrew zog mich zu sich, grob und alles andere als zart.
Was soll das? Du tust mir weh.
„Dein Vater hat es nicht verdient, dass du dich seinetwegen schlecht fühlst.“
Ich schniefte. Das hast du schön gesagt.
„Bitte glaub mir. Du bist so ein wundervolles Wesen. Dir darf niemand wehtun.“
„Und wenn es doch jemand tut?“
„Dann nehme ich mein Schwert und sorge dafür, dass er dich um Vergebung anfleht.“ Er fuchtelte mit dem Messer herum.
Ich habe dich gar nicht verdient. So dumm wie ich bin.
„Das macht mich ganz nervös.“ Ich riss das Messer an mich, warf es auf dem Boden, wo es mit einem Scheppern liegen blieb. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen. 
„Dann sollte ich es vielleicht lieber lassen vor dir damit herumzuhantieren.“
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Montag, 3. September 2012

Und mir tut es leid auf der Welt zu sein.


Ich trat gegen das Treppengeländer, umfasste es schließlich mit meiner zitternden Hand und sank auf eine der grauen Stufen. Meinen Kopf legte ich in den Schoß, ich wollte nichts mehr sehen.
„Kann man Ihnen helfen?“, fragte eine dunkle Stimme, die ich irgendwo schon einmal gehört hatte.
Nein. Kann man nicht. Niemand kann mir helfen.
Ich vernahm ein besorgtes Seufzen. „Irgendetwas muss Sie doch so traurig gemacht haben.“
Ja. Ich mich selbst.
Ich schaute auf, erschrak als ich in das Gesicht meines Vaters sah. Mein Atemzüge gingen schnell, ich presste meinen Körper gegen die Wand.
Anscheinend war er erstaunt darüber mich so aufgelöst vorzufinden. „Lexy“, hörte ich ihn sagen.
Angst, ich hatte entsetzliche Angst vor ihm. Zu tief waren die Wunden der Vergangenheit.
„Geh weg.“  Bitte geh weg.
Mein Innerstes zog sich zusammen. So verletzlich wie ich vor ihm saß kam ich mir vor als wäre ich wieder fünf Jahre alt.

 „Schatz, würdest du kurz in dein Zimmer gehen? Mami und Papi müssen etwas klären.“
„Aber ich muss dich doch vor ihm beschützen“, flüsterte ich ihr zu.
Sie strich mir über die Haare, schenkte mir ein unehrliches Lächeln. „Es ist alles gut, Lexy.“
Zumindest noch, fügte ich in Gedanken hinzu und verschwand in meinem Zimmer um mich im Bett zu verkriechen und die Decke über mich zu ziehen. Ich drückte meinen Teddy an die Brust und fing an mit ihm zu reden.
„Weißt du wie lieb ich dich habe?“ Er schaute mich mit seinen Knopfaugen traurig an. „Ganz dolle.“
„Du elende Schlampe“, schrie mein Vater. Dann knallte etwas gegen die Wand und zerbrach.
Ich hielt mir die Ohren zu, wollte nie wieder etwas hören.  „Wie kannst du es wagen mich als jähzornig zu bezeichnen?“
Ein Wimmern drang zu mir, ich hörte wie meine Mutter nach Atem rang.
Langsam stand ich auf und tapste auf Zehenspitzen zum Schlafzimmer. Ich schob ich die Tür vorsichtig einen Spalt breit auf. Als meine Augen erfassten, was sich dort abspielte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Kein Mucks drang aus meinem kleinen Körper. Er durfte mich nicht bemerken.
Mein Vater hatte seine Hände um den Hals meiner Mutter gelegt, welche kreidebleich dalag und sich nicht rührte. Ihre Augen waren weit aufgerissen, blickten ihn flehentlich an.
„Du und dein plärrendes Kind. Ihr habt mir mein Leben versaut.“
Ehe ich mich versah drückte er ihr komplett die Luft ab.
„Nicht…“, kam es zittrig aus meiner Kehle.
Er drehte sich zu mir herum, war für einen Moment abgelenkt. Ich konnte mich nicht rühren, stand an der Tür und blickte zu meiner Mutter, die plötzlich neben mir stand und meine Hand nahm. Sie schleifte mich mit, rannte mit mir aus der Wohnung.
„Hab keine Angst, Schatz.“ Ihre Stimme klang brüchig, so hatte ich sie noch nie gehört. Laute Schritte kamen den Flur entlang. Er würde gleich bei uns sein. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn einmal herum.
Ich packte ihre Hand fester. „Wir müssen weg.“
„Alles wird gut. Hast du gehört? Alles wird gut.“

Mein leerer Blick lastete auf ihm.
Du bist bestimmt enttäuscht von mir. Nie hättest du gewollt, dass ich so ein kleines, krankes Mädchen werde wie ich es jetzt bin. Nein. Niemals.
Niemals!, schrie meine Seele.
„Was damals passiert ist…“
Verschone mich mit deinen Lügen, deinen Ausreden.
Ich rappelte mich auf. Mein Vater griff nach meiner Hand, ich zog sie blitzschnell weg.
„Es tut mir leid, was ich getan habe…“
Und mir tut es leid auf der Welt zu sein.