"Puts on her best smile, but underneath she's a broken girl."

Samstag, 29. Dezember 2012

Abschied.

„Du gibst mir jetzt deine Rasierklingen“, sagte er und zog mich hoch. „Alle. Jede einzelne.“
Ich wand mich unter seinem eisernen Griff. Vergeblich. Mit weitaufgerissenen Augen stand ich vor ihm und reichte ihm die blutige Klinge, die ich heute in meinen Arm gerammt hatte.
Ihm entfuhr ein langezogenes Aufstöhnen. „Und die anderen?“
Ich schüttelte vehement den Kopf und suchte nach einem Weg nicht ganz so schuldbewusst auszusehen.
„Du sagst mir jetzt, wo du die anderen versteckt hast.“
In mir tobte ein Feuer. Ich wollte kämpfen, aber gleichzeitig konnte ich mir nicht vorstellen, ohne meine kleinen, spitzen, silbernen Helfer auszukommen.
Ach scheiße, dachte ich mir und rannte ins Schlafzimmer. Tränenüberströmt gab ich ihm meine letzten Klingen. Alle noch unbenutzt und verpackt mit dem Namen von Willkinson drauf.
„Ich bin stolz auf dich, meine Süße“, flüsterte Andrew und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Ich fuhr erschrocken zurück, stolperte dabei über meine eigenen Füße und fiel hin. Nackte Panik stieg in mir hoch als er immer näher kam, sich über mich beugte und meine beiden Arme festhielt.
„Du bist meins.“
Meine Angst wuchs ins Unermessliche. Wie außer mir fing ich an mit den Beinen zu strampeln, was ihn allerdings wenig beeindruckte. Er strich über meine Brüste.
Und dann endlich konnte ich schreien. Es war ein ohrendbetäubender, fast animalischer Schrei.
Ich musste blinzeln und verstand die Welt nicht mehr als ich bemerkte, dass ich alleine im Schlafzimmer lag, die Rasierklingen wild um mich verteilt. Was bedeutete, ich hatte mir das alles nur eingebildet. Alles. Jedes noch so kleine Detail.
Ich rappelte mich auf und strich meine Haare zurück während ich hörte wie Andrew nach mir rief.
Ich wusste nicht, wie lange ich dagelegen und mir eingebildet hatte, er verginge sich an mir. Mit einem Kopfschütteln bückte ich mich, versteckte eine Rasierklinge unter meinem Kissen und schmiss die restlichen in den Mülleimer.
Andrew rauschte ins Schlafzimmer. Sah mich mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Klingen starren. Legte mir eine Hand auf den Rücken.
Schweren Herzens wandte ich mich ab. „Du hälst mich bestimmt für total gestört, aber es fällt mir schwer. So verdammt schwer.“
„Ich weiß, Lexy. Ich weiß.“ Er zog mich an sich und hielt mich fest. Ganz fest an sich gepresst.
Ich fühlte mich schwach, so als würden meine Beine mich nicht mehr halten können.

Montag, 12. November 2012

Flocki


Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Ich hörte die schweren Schritte meines Vaters, wie er etwas auf den Boden krachen ließ und dann ein schmerzerfülltes Miauen.
Ich ignorierte die Angst, die mir die Kehle zuschnürte und meine Beine lähmte. Ich musste Flocki retten. Das hatte Priorität, ich stand an zweiter Stelle. Leise drückte ich die Türklinke hinunter und schlich auf Zehenspitzen nach vorne in den Flur.
Wie kann  er nur. Oh mein Gott, Flocki.
Auf ihrem Schwanz stand ein Einkaufsbeutel.
„Alles okay? Geht’s dir gut?“
„Dieses Drecksvieh ist nicht aus dem Weg gegangen“, erklärte mein Vater und trat Flocki, wie um zu zeigen, dass er das Sagen hatte.
Verdammt, sie ist eine Katze. Eine Katze ist ein Lebewesen. Und Lebewesen haben Gefühle. Auf denen du allerdings nur herumtrampelst.
„Zu nichts zu gebrauchen. Genauso wie du“, schimpfte er weiter.
Ich ging zu ihr, schmiss den Beutel meinem Vater vor die Füße und verschwand mit ihr auf dem Arm in meinem Zimmer, wo ich sie ins Puppenbett legte und zudeckte.
„Es tut mir leid. Ich werde nächstes Mal besser auf dich aufpassen, okay?“
Ich schaute in ihre leuchtend grünen Augen, aus denen jeglicher Glanz verschwunden war. Ich fuhr durch ich weiches, schneeweißes Fell. Zu oft wurde sie als Fußabtreter missbraucht. Ich fing an ihr etwas vorzulesen. Sie  sollte eintauchen in eine Welt voller Feen, Magie und Zauber und die schreckliche Wirklichkeit ganz weit von sich schieben.
Ich nahm etwas Glitzer und streute es über sie. „Ab heute sind  du und ich Freunde für immer und ewig.“

Ich legte meine kleine Hand auf Flockis Kopf und flüsterte ihr zu: „Keine Angst. Du schläfst heute bei mir.“ Ich nahm sie und setzte sie auf mein Bett ehe ich die Lichterkette anschaltete und ein rosafarbener Glanz mein Zimmer erfüllte. Ich zog die Bettdecke über uns beide und versuchte verzweifelt Schlaf zu finden. Ich wälzte mich hin und her. Stundenlang. Erst als ich Flocki vorsichtig an mich drückte, und mein Herz unter ihrem warmen Körper pulsierte,

Flocki. Stumm bewegte ich meine Lippen. Ihr Name trieb mir Tränen in die Augen. Erinnerte mich an all die vertrauten Stunden, die wir zusammen verbracht haben. Verbarrikadiert in meinem Zimmer.
Still sank ich zurück in die Kissen. Neben mir hörte ich Andrews regelmäßige Atemzüge, was hieß, dass er tief und fest schlief. Im Gegensatz zu mir. Ich war hellwach, verspürte nicht den Hauch von Müdigkeit. So leise wie möglich schlug ich die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Ich lief zum Fenster, schob den Vorhang ein Stück zur Seite. Es sah schön aus, dort draußen. Friedlich. Die Rücklichter der Autos. Der mit Sternen erhellte Himmel. Die Laternen mit dem hellgelben Licht. Alles ging seinen gewohnten Gang.
Ich kroch zurück ins Bett, rollte mich zu einer Kugel zusammen. Und hatte auf eine eigenartige Art und Weise das Gefühl beobachtet zu werden.

Donnerstag, 8. November 2012

Live or die?


Mit einem ekelerregenden Klang prallte mein lebloser Körper unten auf. Den Kopf nach links gedreht starrten die offenen Augen vor sich hin. Mein Bein lag seltsam verdreht auf dem Asphalt während das Blut weiterhin aus den Schnitten an den Pulsadern strömte und den Gehweg in einen Tatort verwandelte.
„Oh mein Gott!“, hörte ich jemanden schreien. Eine warme Hand legte sich um mein Handgelenk und fühlte meinen Puls. „Ich kann nichts spüren.“ Sie drückte stärker. „Nichts.“ Mein Arm wurde in seine ursprüngliche Postion zurückgelegt. Und als sich die Person mir zuwandte erkannte ich dass es Andrew war. Sein Gesicht war tränenüberströmt, seine Hose voller Blut. Er legte meinen Kopf in seinen Schoß. „Wach auf. Bitte Lexy. Tu es für mich.“ Ich blinzelte kurz, rührte mich aber nicht. „Bitte tu, was ich dir sage. Nur dieses eine Mal.“
Ich überwand mich. Schreiend wachte ich auf. Ein tiefes, sattes Schwarz um mich herum. Wie in einem Sarg. Einem Sarg? Mir blieb die Luft weg.
„Du hattest einen Albtraum. Es ist alles gut. Ich bin bei dir.“
Ich…lebe?
Ich kann nicht in Worte fassen wie ich mich fühlte. Es war als würde der Boden unter mir weggerissen werden. Ich fiel. Tiefer und tiefer.
Ich lebe, sagte ich mir. Neben mir sitzt Andrew und hält meine Hand. Es ist drei Uhr nachts. Und alles, was bis eben so real war, war nur ein Traum.
„Lexy. Sieh mich an.“ Er fasste unter mein Kinn, drehte es grob zu sich.
„Du tust mir weh.“

Samstag, 20. Oktober 2012

Weg, verschwunden


Ich lehnte mich zurück, umklammerte mit meinen Händen die Tischkante und schloss meine Augen.
„Was sehen Sie?“, fragte meine Therapeutin
„Einen Himmel.“
„Gibt es Wolken?“
„Ja, ziemlich viele. Lilafarbene, flauschige Wolken, die beinahe den ganzen Himmel bedecken.“
„Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie würden dort sein, hoch oben und auf die Welt hinuntergucken. Was sehen Sie?“
„Ich sehe Andrew er streckt die Hand nach mir aus. Aber er greift durch mich hindurch.“
„Interessant.“ Ich hörte wie sie sich etwas notierte, und noch während sie schrieb stellte sie mir eine weitere Frage. „Wie fühlen Sie sich dort alleine im Himmel?“
„Komischerweise fühle ich nichts. Als wäre ich tot.“
„Mhm. Jetzt öffnen Sie ihre Augen.“
Ich tat wie mir befohlen wurde.
„Denken Sie manchmal darüber nach, Suizid zu begehen?“
„Ja.“
„Und wie fühlen Sie sich in diesem Augenblick?“
„Irgendwie erleichtert. Als könnte ich alles hinter mir lassen.“
„Ist diese Vorstellung verlockend?“
Ich spürte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. „Ja.“
„Haben Sie konkrete Pläne wie Sie sich umbringen wollen?“
„Nein, habe ich nicht.“
„Würden Sie es mir sagen, wenn Sie vorhaben sich selbst zu ermorden?“
„Ehrlich gesagt…weiß ich es nicht.“
„Versprechen Sie mir, dass Sie sich bis wir uns wiedersehen nicht suizidieren.“
Ich senkte den Kof, schaute auf meine Oberschenkel und dann kam es über meine Lippen. „Ich versuche es, aber versprechen kann ich nichts.“
„Wie geht es Ihnen jetzt?“
„Nicht so besonders gut.“
Sie richtete sich auf, was ich als Zeichen nahm, dass die Stunde vorüber war. Ich stand schon an der Tür als sie plötzlich meine Hand nahm und sie fest drückte. „Ich glaube an Sie.“
Wenigstens einer. Ich drückte die Klinke nach unten und schob mich vorsichtig aus dem Therapieraum.  Ich spürte wie das Blut durch meine Adern rauschte. Wie Raketen auf dem Weg in den Himmel, wo sie sich entzündeten und ein wunderschönes Feuerwerk den Himmel erleuchtete.
Als ich die Praxis verlassen hatte fühlte ich mich einer Explosion nahe. All die unterdrückten Empfindungen bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche. Aggression, Hass und Trauer- eine giftige Mischung.
Ich wankte durch die Straßen bis ich schließlich vor einem Friedhof zum Stehen kam und lauthals anfing zu lachen. Minutenlang starrte ich auf das schmiedeeiserne Tor, welches den Eingang zum Reich der Toten bildete, und lachte. Wie ein kleines Mädchen, was sich nicht anders zu helfen weiß. Als mein Körper genug hatte und mich keuchen ließ, sank ich auf die Knie und hockte da als würde ich den Friedhof anbeten.
Also stand ich schnell wieder auf. Die innere Anspannung war weg, verschwunden.  

Samstag, 13. Oktober 2012

Lexy, die Ritzerin.


Meinen iPod in den Ohren stürmte ich in den Vorlesungssaal.
I’m so happy cause today I found my friends. They’re in my head.
Ich verschwand in der hintersten Reihe, dort wo ich ungestört meinen Gedanken nachhängen konnte ohne zu riskieren aufgerufen zu werden.
I’m so ugly. That‘s okay cause so are you.
Ich klatschte meine Sachen auf den Tisch und schaltete die Musik aus. Um mich herum herrschte eine eigenartige Stille. Das übliche Flüstern war verstummt, niemand gab einen Laut von sich. Mein eigenes Atmen war das einzige Geräusch, das ich hörte. Ich setzte mich, ließ meinen Blick durch den Saal schweifen. Da entdeckte ich es. Lexy, die Ritzerin. Drei allesvernichtende Worte, in Kreide an der Tafel.
Ich sprang auf und stürmte zum  Ausgang. Weg. Nur weg von hier. Ganz weit weg.
„Lexy, was ist denn los?“ Fast wäre ich in meine Professorin hineingerannt. Doch sie nahm meinen Arm, zog mich hinaus in den Flur und schaute in mein aufgelöstes Gesicht. „Was ist passiert?“
Traurig und wütend zugleich senkte ich den Kopf.
„Bitte reden Sie mit mir.“
„Gehen Sie doch rein und schauen selbst!“
Sie war verwundert, befolgte dann aber meinen Rat. Ich rutschte an der Wand entlang auf den Boden, fing an zu weinen. Meine Lust zu leben kroch am Boden herum. Ich wollte nur noch tot sein. Mausetot.
„Hey.“ Meine Professorin hockte sich neben mich. „Nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen.“
„Ich kann nicht anders. Wenn ich weg wäre, dann wäre alles besser.“
„Sie gehen jetzt am besten nach Hause.“
„Das geht nicht. Ich werde dort gar nicht erst ankommen.“
„Okay. Dann bringe ich Sie.“
„Nein. Das ist nicht nötig.“ Ich versuchte aufzustehen. Leider erfolglos. Wie alles in meinem verfickten Leben. Kraftverlassen saß ich im Gang der Uni und heulte mir die Augen aus.
„Kannst du mir mal helfen?“, hörte ich die Stimme von Frau Ebert fragen und wunderte mich, mit wem sie sprach. Mit mir sicherlich nicht.
„Was ist denn mit ihr passiert?“ Herr Maaßen.
„Sie ist vollkommen aufgelöst, weil an der Tafel steht, dass sie sich ritzt.“
Ich hielt den Atem an.
„Lexy ritzt sich?“ Er klang entsetzt. „Scheiße.“
Scheiße?
Dann folgte: „Geh du ruhig rein, ich kümmere mich um sie.“ Er setzte sich zu mir.
Ich rutschte von ihm weg. „Sie müssen nicht wegen mir-“ Ich verstummte als er meinen linken Arm nahm und den Ärmel hochschob.
Er fuhr sanft über die frischen Schnitte. „Lexy, was ist passiert, dass Sie sich solche Verletzungen zufügen?“
Das geht Sie einen Scheißdreck an.
„Das ist doch keine Lösung.“
Ernsthaft. Lassen Sie mich in Frieden.
„Sind Sie in Behandlung wegen der Borderline-Störung?“
Ich kochte vor Wut, innerlich und äußerlich. „Ich habe kein Borderline. Ich bin depressiv“, warf ich ihm vor die Füße und suchte nach einer Ausrede um seiner Neugier zu entfliehen. „Mir ist schlecht.“
„Soll ich Sie nach draußen bringen?“
Tun Sie sich keinen Zwang an.
Ohne zu protestieren ließ ich es zu dass mir hoch half. Seine helfenden Hände, mein leerer Blick, die Unsicherheit in mir. Mir wurde schwindlig. Schwindlig vom Denken, vom Leben. Mit unsicheren Schritten floh ich aus der Uni als mir ein Satz hinterhereilte und mein Herz entzwei riss.
„Es tut mir leid, was ich damals zu Ihnen gesagt habe.“
Ich drehte mich um. „Sie hatten doch Recht. Ich bin eine Versagerin.“
Draußen war es kalt, bitterkalt. Ich wusste nicht wohin ich jetzt gehen sollte. Andrew war arbeiten, die Wohnung war leer und verlassen. Wie ich.
Selbst schuld, du unfähiges, kleines Ding.
Ich drehte mich einmal um mich selbst, streckte meine Arme aus und sah in den Himmel. Wie gerne wäre ich eine Elfe. Ich könnte einfach davonfliegen. Zwischen den Wolken tanzen. Und von oben über die Menschen wachen.
Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter. Zu Tode erschrocken presste ich die Hände auf mein rasendes Herz.  Langsam, ganz langsam, schaute ich nach hinten.  Da war niemand. Unauffällig blickte ich mich um. Ich war die Einzige in der gesamten Straße.  Mir wurde unheimlich zumute. Ich fühlte mich verfolgt. Als lauerte jemand in seinem Versteck darauf, dass ich einen Fehler machte.
Doch woher sollte ich wissen, was richtig und was falsch war? Kalte Angst packte mich und trieb mich dazu zur nächsten U-Bahn-Station zu rennen und mich dort in den vollen Zug zu quetschen. Es waren vier Stationen bis zu Andrews Anwaltskanzlei, die ich an eine Glasscheibe gepresst hinunterzählte.
Mit Knien so weich wie Butter bahnte ich mir meinen Weg in die Freiheit, möglichst darum bemüht kein Aufsehen zu erregen. Meine Handflächen waren schweißnass. Als ich auf sein Bürogebäude zusteuerte fiel mir das Atmen immer schwerer. Wie ein Fisch schnappte ich nach Luft.
Der Pförtner kam hinter dem Thresen hervor. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Muss zu…Andrew.“
„Was ist denn los?“
„Ich…keine Luft“, hauchte ich und brach unter seinen sensationslustigen Augen zusammen.