"Puts on her best smile, but underneath she's a broken girl."

Dienstag, 6. Dezember 2011

Maskenbildnerin

Der Gang war menschenleer und es herrschte eine  unheimliche Stille. Totenstille. Ich ging langsam und musste aufpassen, dass ich nicht über meine eigenen Füße stolperte. Meine Schritte hallten durch das Gebäude und steuerten zielsicher auf die Toiletten zu. Der Selbsthass, welcher in mir loderte, ballte sich zu einer gewaltigen Explosion. Ich schaute auf die Uhr. Die Vorlesung war eigentlich erst in zwanzig Minuten vorbei.
Ich wählte die vorletzte Kabine und schloss mich ein. Meinen Mantel legte ich auf den Boden während ich in meiner Tasche wühlte. Ich zog die Schere aus meiner Federtasche. Überwältigt von ihrer Anziehungskraft ließ ich mich auf den geschlossenen Toilettendeckel sinken.
 Ich schnitt mit dem kalten Metall in meinen Arm. Schmerz kam;  verschaffte mir Erleichterung. Ließ mich alles um mich herum vergessen. Die bekritzelte Tür der Toilette, der muffige Geruch und die Stille; alles verschwand aus meinen Sinnen. Rote Tränen traten aus dem Schnitt und flossen meinen Arm hinab. Ich riss ein Stück Toilettenpapier ab und drückte es drauf um sie aufzufangen. Währenddessen las ich mir die Schmierereien an den Toilettenwänden durch. Es reichte von „Schatz, ich liebe dich“ bis hin zu „Wozu bin ich eigentlich noch da?“. Die ganze Bandbreite der Emotionen eben. Verewigt auf dem weiß angestrichenen Holz.
„Sophie, sind Sie hier?“ Meine Professorin. Wie lange saß ich schon hier? Schritte kamen näher. Hielten vor meiner Toilettenkabine an. „Ist alles in Ordnung?“
Ich presste das Papier stärker auf den Schnitt. „Es geht.“
„Was ist denn los?“
„Nichts.“ Nichts, das sie etwas angehen würde.
Sie wartete einen Augenblick. Wahrscheinlich darauf, dass ich aus der Kabine raus kam. Doch das war nicht der Fall. Nach einer Weile schien Frau Ebert das zu realisieren.
„Warten Sie bitte einen Moment hier. Ich komme gleich wieder.“
Ihre Schritte entfernten sich und wurden immer leiser. Ich steckte die blutverschmierte Schere in die Tasche meines Mantels. Als es mucksmäuschenstill auf den Toiletten war, stand ich auf. Ich nahm meine Tasche und hing sie mir über die Schulter, meinen Mantel nahm ich in die linke Hand. Während ich  mit der freien Hand weiter auf den Schnitt drückte schloss ich die Tür auf. Eilig schlich ich nach vorne zu den Waschbecken um das Blut abzuwaschen. Als ich jemanden hereinkommen hörte, wollte ich gerade meinen Ärmel hinunterziehen. Doch meine Professorin war schneller.
„Haben Sie sich geritzt?“
Nein, ich bin Maskenbildnerin und habe ein wenig geübt.
Sie kam näher zu mir und kniff ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Möchten Sie ein wenig an die frische Luft?“
Ich schüttelte den Kopf. Alles, was ich wollte, war abzuhauen und diesen Moment aus dem Gedächtnis meiner Professorin zu löschen.
„Kommen Sie mal mit.“ Sie nahm meinen Mantel und führte mich von den Toiletten in einen kleinen Raum. Mein Herz pochte als würde ich Achterbahn fahren.

Montag, 5. Dezember 2011

Ach, alles scheiße.

Eine Hand glitt über die Tafel und hinterließ weiße Zeichen. Die Welt wäre ohne mich besser dran. Niemand müsste meine Anwesenheit mehr ertragen. Sich Sorgen machen. Oder einfach  mich ansehen müssen. Ich würde nicht mehr existieren.
Jemand stupste mir in die Seite. „Was soll denn das dritte Wort heißen?“ Ich wirbelte herum.
Krampfhaft guckte ich an die Tafel und versuchte das Geschriebene zu lesen. „Ich kann es auch nicht entziffern. Tut mir leid, Anna.“
Sie grinste. „Ich kann dir nach der Vorlesung mein Blatt geben wenn du möchtest.“
„Dankeschön.“ Ich legte meine Arme auf den Tisch und bettete meinen Kopf auf sie.
 
„Hey“, flüsterte Anna. „Sophie.“ Ich hob meinen Kopf. Und bereute es sofort. Tausend erwartende Augen waren auf mich gerichtet. Die Farbe wich aus meinem Gesicht. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Es war als fiele ich in die Tiefe. Nichts konnte ich dagegen tun. Alles, was ich tat war stur geradeaus zu starren während ich mich immer weiter unter den Tisch schob. 
Erst als meine Professorin sich von mir abwendete folgten ihr die neugierigen Blicke der anderen Studenten. Sie schrieb etwas an die Tafel und fuhr mit einer solchen Gelassenheit fort,  dass man meinen könnte, ich hätte mir den Vorfall nur eingebildet. Selbst Anna kritzelte unbeirrt auf ihrem Blatt herum. Ich stand auf, nahm meine Sachen und lief durch die ansonsten leere Sitzreihe. Hinten zu sitzen hatte wirklich Vorteile. Ich huschte zur Tür und verschwand aus dem Saal. Blamiert bis auf die Knochen.