"Puts on her best smile, but underneath she's a broken girl."

Dienstag, 24. September 2013

Am Rande des Abgrunds


Ein wehmütiges Lächeln kroch über meine Lippen als ich  die Klinge an meinen Arm setzte. Ich drückte sie so tief wie möglich in meine Haut ehe ich sie quer über meinen Unterarm zog. Die Haut riss auseinander, warmes Blut rann in Strömen über meinen Arm und tropfte auf den Boden. Ich starrte auf den klaffenden Schnitt und spürte, wie die Anspannung von mir wich. Wie ich wieder freier atmen konnte.
Mit einem Scheppern glitt das messerscharfe Metall aus meiner Hand. Ich schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand. Ein süßlich-metallischer Geruch erfüllte die Luft. Eine rote Pfütze bedeckte den Boden. Und ein kaputtes Mädchen hockte in den Trümmern ihres erbärmlichen Lebens.
 
 
Es klingelte. Frau Hohenstädt war da.
Ich ließ meinen Blick an mir herunter wandern und blieb an dem klaffenden Schnitt hängen.
„Scheiße“, flüsterte ich. „Verdammte Scheiße.“
Es klingelte ein weiteres Mal.
Ich rannte ins Badezimmer, wickelte Toilettenpapier um die Wunde und zerrte meinen Ärmel hinunter. Weil ich keine Zeit mehr hatte das Blut wegzuwischen, schloss ich die Wohnzimmertür und warf einen letzten Blick auf den notdürftig versorgten Schnitt. Noch sickerte keine rote Flüssigkeit hervor, noch nicht. Ich riss die Tür auf und rang mir ein Lächeln ab.
 
Privatvorstellung für Frau Hohenstädt.
Akt eins.
Sie trat ein, zögernd doch bestimmt. „Lexy, Sie sind ja ganz blass. Was ist denn los?“
Sie legte einen Arm um mich und führte mich ins Schlafzimmer, wo ich mich aufs Bett setzte und sie sich vor mich kniete.
„Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Es ist einfach passiert, dass ich in die Wohnung kam und spürte wie die Verzweiflung wieder die Oberhand gewann…“
Sie drängte mich nicht weiterzureden. Saß einfach da und wartete bis ich mich gefangen hatte.
„Egal, was ich tue, es bringt nichts.“ Ich senkte meinen Blick und erstarrte als ich den rotgetränkten Ärmel sah.
„Sie haben sich wieder geschnitten“, sagte Frau Hohenstädt und sah mir unverwandt in die Augen.
„Ich konnte nicht anders. Tut mir leid.“
Eine Weile schwiegen wir uns an. Denn manchmal sagte schweigen mehr als Worte es je könnten.
Sie war die erste, die ihre Sprache wiederfand. „Darf ich mal sehen?“
Ich nickte. Zog beschämt meinen Ärmel hoch und legte den Schnitt frei. Fast einen Zentimeter klaffte er auseinander.
„Ich gehe mit Ihnen ins Krankenhaus zum Nähen, okay?“
Widerwillig nickte ich. Ich hatte Angst dabehalten zu werden, als selbstgefährdend zu gelten. Aber ich hatte keine Wahl. Hatte mich für ein Leben am Rande des Abgrunds entschieden.
Meine Therapeutin stand auf; ich tat es ihr gleich.

Donnerstag, 5. September 2013

Rasierklingenliebe


Als am nächsten Morgen die Tür ins Schloss fiel, zerbrach in meine Einzelteile. Mein Lächeln war wie weggewischt, meine Augen leer. Es war kein schönes Gefühl so verloren in meiner Wohnung zu stehen und niemanden in greifbarer Nähe zu haben, dem man wichtig war.
Ich kam mir so ungeliebt vor.  So alleingelassen.
Kraftlos glitt ich an der Wand hinunter. Ich spürte, wie sich Tränen anbahnten, wie ich sie nicht länger zurückhalten konnte.  
Ich ließ es geschehen. Ließ die salzigen Tränen über meine Wangen laufen während ich meinen Kopf gegen die Wand schlug um meinen inneren Schmerz nach außen zu bringen, um mich besser zu fühlen.
Es war vergeblich. Ich fühlte mich zwar erschöpft, doch keineswegs besser. Ich konnte nicht anders als aufzustehen und ins Bad zu gehen. Als ich die wunderschöne Klinge dann in meiner Hand hielt, fiel mir ein Zettel aus der Hosentasche.
Die Nummer meiner Therapeutin.
‚In Notfällen‘, hatte sie gesagt. War das ein Notfall?
War nicht meine ganze gestörte Persönlichkeit ein einziger Notfall?
Ich ließ die Rasierklinge auf den Boden fallen, wo sie mit einem leisen Klirren liegenblieb. Dann drehte ich mich um, nahm mein Handy und wählte ihre Nummer.
Nach ein paar Sekunden hörte ich ihre Stimme. „Ja?“
„Hallo, hier ist Lexy.“ Ich machte eine Pause, wusste nicht, was ich als nächstes sagen sollte.
„Lexy, schön dass Sie anrufen.“
„Ich bin kurz davor mir etwas anzutun.“
„Was ist denn passiert?“
„Es ist nichts passiert. Mir geht es nur nicht so gut.“
„Weil Sie sich einsam fühlen?“
„Ja. Einsam. Gehasst. Und verabscheut.“
Tränen traten mir in die Augen. Mit einer schnellen Handbewegung wischte ich sie weg. Ich ließ mich auf den Boden fallen und biss mir auf die Unterlippe um die Tränen zu vertreiben.
„Was macht Sie so traurig?“, fragte sie mit ihrer weichen Stimme, die mich umhüllte wie Samt.
„Der Gedanke“, ich schluchzte kurz auf, „dass ich allen egal bin. Dass ich niemandem etwas bedeute und eigentlich auch tot sein könnte. Es würde ja eh niemanden interessieren.“
„Das ist Ihre Interpretation. Ich bin mir sicher, Sie sind Andrew nicht egal. Und mir auch nicht.“
„Ich weiß nicht“, flüsterte ich und wischte mit einem Taschentuch die Tränen aus meinem Gesicht. „Ich habe das Gefühl, dass alle mich hassen.“
„Warum sollte man Sie hassen?“
„Da gibt es tausende von Gründen“, erwiderte ich und hasste meine Stimme dafür, dass sie so zitterte. „Tausende und Abertausende.“
Ich brach in ein Schluchzen aus und legte das Telefon weg ohne aufgelegt zu haben. Mein Herz pochte schnell und doll. Als ich aufstehen wollte, wurde mir schwindlig. Ich setzte mich wieder hin, nahm das Telefon in die Hand und hauchte ein paar Worte in den Hörer. „Ich bin am Ende.“
„Lexy, ich bin in einer halben Stunde da. Passen Sie so lange gut auf sich auf.“ 
Ich legte auf, ließ meinen Kopf auf die Knie sinken. Eine halbe Stunde konnte verdammt lange sein, wenn man heulend auf dem Boden kauerte und sich wünschte seinem Leben endlich ein Ende zu setzen.
Jede einzelne Bewegung strengte mich an. Selbst das Atmen fiel mir schwer. So unglaublich schwer. Ich wünschte mir, ich könnte es lassen. Einfach sterben. Hier und jetzt. Ich streckte meine zittrige Hand aus und griff nach der Klinge, welche ich neben mich gelegt hatte. Mit dem Zeigefinger fuhr ich langsam die Kante entlang. Mein Puls schnellte in die Höhe.  Ich spürte mein Herz wild in meiner Brust pochen.
Jetzt oder nie.