Wir sitzen im Kreis. Ich habe
die Beine übereinandergeschlagen, mich zusammengekrümmt und schaue zu Boden.
Habe Angst aufzufallen. Will mich unsichtbar machen. Verschwinden. Mein Herz
klopft wie verrückt. Ich atme flach und unregelmäßig, spüre wie mir Tränen in
die Augen treten. Ich blinzele und verkrampfe meine Hände ineinander während
mein Kunstlehrer redet. Ich weiß nicht worüber, alles, was ich weiß ist, dass
mir seine Stimme Angst einjagt. Sie klingt so tief, laut und emotionslos.
Wir sollen uns reihum
vorstellen. Ein Mädchen fängt an; ich beneide sie um ihre Unbeschwertheit mit
der sie ihren Namen sagt. Je näher ich rücke, desto mehr Panik strömt durch
meinen Körper. Als es dann soweit ist, setzt mein Herz einen Schlag aus. Mir
bricht der Schweiß aus, Blut schießt in meine Wangen. Mir wird schwindlig.
Mühsam bringe ich meinen Namen über die Lippen, leise und undeutlich.
„Habt ihr was verstanden? Ich
nicht“, fährt mich der Lehrer an. Ich weiß genau, dass er meinen Namen kennt,
er unterrichtet mich seit zwei Jahren.
Kurz denke ich, ich fange
gleich an zu weinen, doch ich reiße mich zusammen und wiederhole meinen Namen,
diesmal etwas lauter aber noch immer mit nach unten gesenktem Blick.
„Hast du einen Sprachfehler
oder warum wirst du am Ende immer leiser?“, sagt er mit einem hämischen Grinsen
auf dem Gesicht.
Ich komme mir lächerlich vor
wie ich auf dem Stuhl kauere und vor mich hin stottere, erbärmlich. Einfach
erbärmlich. Ich spüre die bohrenden Blicke der anderen. Es ist als wären
Scheinwerfer auf mich gerichtet. Ich atme tief durch. Weiß nicht was ich tun
soll. Mich nochmal vorstellen und wieder versagen oder einfach den Mund halten
und mich in Grund und Boden schämen?
„Bitte sag deinen Namen noch
einmal, diesmal so, dass ihn auch jemand versteht.“
„Ich bin Justina“, sage ich
zum dritten Mal und hoffe innerlich, dass es ihm diesmal genügt.
„Ach, Justina heißt du also.“
Sein Mund ist zu einem breiten Lächeln verzerrt. Damit gibt er das Wort an den
Nächsten.
Mir ist kalt, eiskalt und ich
fange an zu zittern. Vor Angst, vor Anspannung, vor Scham, ich weiß es nicht.
Ich schlinge die Arme um mich und wünsche mir im Erdboden zu versinken. Ich
schaue auf die Uhr, zähle die Sekunden, welche so qualvoll langsam vergehen.
Als die Vorstellungen beendet
sind, ergreift er wieder das Wort. „Nun möchte ich auf eure Körperhaltung zu
sprechen kommen.“ Er wirft einen prüfenden Blick in die Runde. Bleibt an mir
hängen. Mustert mich lange.
Mir stockt der Atem. Ich beiße
mir auf die Unterlippe bis ich Blut schmecke, umklammere meinen Körper fester
und wünsche mir sehnlichst dass er seinen Blick von mir abwendet. Ich weiß doch
selbst, dass ich hässlich bin und alles falsch mache.
„Diese Haltung ist echt zum
Kotzen“, erklärt er und ich spüre wie alle zu mir gucken. „Ist dir kalt oder
warum umklammerst du dich als würdest du gleich auseinanderfallen?“
Ja, mir ist kalt. Ich habe seit über einem Tag nichts gegessen, bin
einfach unterzuckert und sterbe gleich vor Angst, denke ich. Aber alles,
was ich mache, ist zu nicken.
Er seufzt. „Du hörst jetzt auf
dein Arme zu verschränken.“ Er führt es mir vor als wäre ich sonst zu dumm um
ihn zu verstehen. „Und dann stellst du deine Beine parallel zueinander auf den
Boden.“ Auch das zeigt er mir.
Ich höre wie jemand kurz
auflacht. Ich komme mir vorgeführt vor, gehorche aber und hoffe, dass er
möglichst bald von mir ablässt.
„Ist doch schon viel besser.“
Er nickt mir zu. „Aber nichtsdestotrotz signalisierst du mir, dass du keinen
Bock auf das Ganze hier hast.“
Ich bin viel zu durcheinander
und weiß nicht, was er meint. Denn alles an mir ist falsch. Deshalb warte ich einfach
ab.
„Schon mal etwas von
Blickkontakt gehört?“, will er wissen und kann den Vorwurf in seiner Stimme
nicht verbergen. Nicht dass er es versucht hätte.
Vorsichtig hebe ich meinen Kopf. Braune Haare, ein hartes Gesicht,
dunkle Augen, in denen eher Hass als Mitleid lodert. Ich bekomme augenblicklich Gänsehaut. Will weg. Ganz weit weg.
Mein Herz pocht heftig gegen meine Rippen als er sagt: „Geht doch.
Und jetzt teile ich euch Gedichte zu, die ihr in der Gruppe vortragt.“
An das nächste habe ich keine Erinnerung. Es ist wie ausgelöscht.
Als wäre da nie etwas gewesen. Das nächste ist dass unsere Gruppe aufgerufen
wird.
Ich stehe auf, gehe nach vorne, stelle mich an den Rand. Die
anderen sitzen im Halbkreis vor uns und schauen uns erwartungsvoll an. Ich habe
den Impuls zu fliehen, einfach wegzurennen, doch kann mich keinen Millimeter
bewegen. Das Gefühl in der Situation gefangen zu sein war alles andere
als angenehm. Meine vor Angst geweiteten Pupillen wandern von Gesicht zu
Gesicht und treiben mich immer tiefer in die Panik. Ich kann kaum noch atmen,
meine Knie sind weich wie Butter, alles dreht sich um mich herum. Wie durch
Watte höre ich Worte. Worte, die einfach an mir vorbeiströmen; keinen Sinn
ergeben.
Ich stehe also da, schwanke leicht und kämpfe gegen die nahende
Ohnmacht an als mich meine Freundin anstupst.
Mit allerletzter Kraft lese ich meine Zeilen. Als ich fertig bin
und benommen von meinem Text aufblicke, sehe ich meinen Lehrer auf mich
zukommen.
„Alle bis auf Justina können sich setzen.“
Einige Sekunden lang verstehe ich nichts, dann dämmern mir seine
Worte. Verzweiflung breitet sich in mir aus; lässt das Blut schneller durch
meinen Körper strömen.
„Du trägst das jetzt noch einmal vor“, weist er mich an und stellt
sich neben mich. „Und stell dich ordentlich hin.“ Er schubst mich. Ich stolpere
und falle fast um. „Genau das hab ich gemeint. Stell dich so hin, dass du nicht
umfallen kannst.“
Hilfesuchend blicke ich in die Gesichter meiner Mitschüler, doch es
scheint niemanden zu interessieren.
„Nochmal“, wiederholt er.
Ich schnappe kurz nach Luft, rattere meinen Text herunter und verstumme
schließlich.
„Vollkommen emotionslos. Du sollst das nicht ablesen, du sollst es
vortragen. “
Tränen bahnen sich ihren Weg
über meine Wangen. Ich drehe mich um, schleppe mich aus dem Raum und
höre die Tür hinter mir ins Schloss fallen.
Nervlich am Ende lasse ich mich an der Wand hinuntergleiten und
beginne bitterlich zu weinen.
Das Öffnen der Tür lässt mich hochschrecken. Mit einem bestürzten
Ausdruck auf dem Gesicht sah mich meine Freundin an. „War das so schlimm für
dich?“
Ich schluchze laut auf und nicke. Immer und immer wieder höre ich
seine Worte in meinen Ohren nachklingen.
Sie schließt mich in die Arme bis ich aufhöre zu weinen. „Siehst
du, jetzt ist alles wieder gut.“ Als sie mich loslässt kauere ich mich auf dem
Boden zusammen und beobachte wie sie wieder in die Klasse geht.
Alles wird gut
ist die größte Lüge auf diesem beschissenen Planeten.
Ich bin nur noch ein Häufchen Elend mit dem innigen Wunsch zu
sterben.