"Puts on her best smile, but underneath she's a broken girl."

Montag, 18. Februar 2013

Malstunde


Noch zwei Minuten bis die nächste Patientin hier hineinstürzen würde.

Frau Hohenstädt folgte meinem Blick. „Okay. Reicht das für heute?“

Ich nickte und erhob mich.

„Passen Sie auf sich auf.“

Ich nickte wieder und schüttelte ihre Hand. „Bis nächste Woche.“ Dann schnappte ich mir den Verband und die Kompressen vom Tisch zwischen uns und verschwand auf der Toilette.

Ich knallte die Tür ins Schloss und trat mit dem Fuß gegen die Wand. Die Mullbinde landete auf dem Boden während ich mit Fäusten gegen die Tür hämmerte. Mein Herz hüpfte in meiner Brust auf und ab.

Verdammte Scheiße, wie konnte ich nur so dumm sein? So unvorsichtig?

Wütend betrachtete ich die Fäden. Ich zupfte und riss, zog und biss und war erst zufrieden als alle schwarzen Fremdkörper raus waren. Der weiße Boden war rot besprenkelt. Von der Lache auf dem Toilettendeckel ganz zu schweigen.

Mir wurde schlecht von dem vielem Blut, das sogar an den Wänden herunterlief. Rotes zähflüssiges Blut. Überall.  Als hätte hier ein Mord stattgefunden. Ein sehr brutaler Mord. Ich bückte mich als ich plötzlich hörte wie die Tür der Damentoilette mit einem Quietschen aufgerissen wurde.

 
 
Scheiße!

Ich geriet in Panik angesichts der zielstrebigen Schritte, die bis vor meine Kabine führten.

„Lexy? Sind Sie das?“, fragte -Überrraschung- meine Therapeutin.

Ich sagte nichts.

„Oh mein Gott, das ganze Blut! Machen Sie sofort diese verdammte Tür auf!“

 Mit einem Klicken schloss ich auf.  Eine Hand packte mich, zog mich heraus.

„Dieses viele Blut. Stammt das von Ihnen?“

Nein, ich male die Toiletten nach jeder Therapiestunde mit Kunstblut an.

Und dann brach das Chaos aus.

Die weitaufgerissenen Augen signalisierten mir dort stehen zu bleiben. Sie eilte hinaus, schrie den Flur entlang, jemand solle ihr den Erste-Hilfe-Kasten geben. Die Tür knallte zu. Ich stand alleine da und starrte auf die roten Pfützen.

Erst die weiße Mullbinde, welche sich mit meinem Blut vollsog holte mich aus meiner Starre.

Ich folgte Frau Hohenstädt, schrie ihr hinterher, dass das nicht nötig sei.

Da drehte sie sich herum. Sah mir mit einen höhnischen Lächeln ins Gesicht und sagte: „Es ist sowieso ein Wunder, dass Sie nach den unzähligen Suizidversuchen überhaupt noch am Leben sind.“

Verzeihung, aber das war kein Versuch. Ich stürmte hinaus, rannte die Straße hinunter. Und fühlte mich so leer wie lange nicht mehr.

Sonntag, 10. Februar 2013

Allein, allein


Ich höre ja auf. Am besten höre ich gleich auf zu leben.
„Wie fühlen Sie sich gerade?“
„Nicht so gut. Ich komme mir vor, als stände ich am Abgrund und bräuchte nur noch zu springen.“
„Erzählen Sie weiter. Welche Gefühle löst dieses Assoziation in Ihnen aus?“
„Ich fühle mich…schuldig. Bin enttäuscht von mir selbst.“
„Warum?“
„Weil ich mich mal wieder selbst verletzt habe. Und es nicht geschafft habe, dem beschissenen Drang zu widerstehen. Ich habe einfach nachgegeben. Dabei will ich doch kämpfen. Ich möchte stark sein und nicht schwach.“
„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, möchten Sie aufhören sich zu  schneiden. Und das ist eine unglaublich mutige Entscheidung.“
„Aber ich schaffe es ja nicht. Also bin ich alles andere als mutig.“
„Es funktioniert nicht, weil Sie denken, es müsste von jetzt auf gleich gehen. Sie haben jahrelang ihren Arm aufgeschnitten, und es wird einige Zeit dauern bis Sie anders mit Druck umgehen können.“
„Ich muss es doch irgendwie schaffen-“
„Falsch“, fiel sie mir ins Wort. „Alleine geht es schon mal gar nicht.“
„Sehr lustig“, bemerkte ich zynisch. „Wer soll mir denn bitte helfen?“
„Ihr Freund?“
„Der mich am liebsten einsperren würde, wenn er weiß dass ich mich schneiden möchte? Schlechte Idee.“


Dienstag, 5. Februar 2013

Egal, alles egal


Ich blickte aus dem Fenster. Wollte ihr nicht antworten. Meine Lust über die Vergangenheit zu sprechen saß gefesselt und geknebelt in der Ecke. Ich schaute zu ihr herüber. Wie lange die Fesseln wohl halten würden? Wie lange es dauerte bis sie sich befreite?

Aus einem Augenwinkel heraus erkannte ich dass sie etwas notierte, das aussah wie keine Wahrnehmung der Umwelt. Oder sonst was. War mir eigentlich auch egal. Scheißegal.
So wie die ganze beschissene Welt, die sich trotz allem Unheil einfach weiterdrehte als wäre nichts geschehen.
Ich krallte die Fingernägel in meinen Arm, zerkratzte die Haut, wollte gerade die verheilte Wunde wieder aufreißen.
Meine Therapeutin riss meine Hand weg. Schaute mich böse an. Und interpretierte mein Verhalten als Aggression.  „Lexy. Worauf sind Sie so wütend?“
„Auf mich.“
Entschuldigung, ich muss mich korrigieren. Auf alles in diesem zerfickten Leben.
Ich wusste nicht wohin mit meinen Händen. Sie verleiteten  mich dazu weiterhin  an dem Schnitt herumzufummeln. Es sah so verlockend aus. Diese fünf Zentimeter lange Linie aus getrocknetem Blut. Zusammengehalten mit vier Stichen, deren schwarze Fäden einen schönen Kontrast zu meiner blassen Haut bildeten.
„Lassen Sie das“, fuhr die nun leicht angesäuerte Stimme meiner Therapeutin dazwischen.
Ist ja schon gut.