"Puts on her best smile, but underneath she's a broken girl."

Montag, 28. Januar 2013

Von wegen alles bestens, du Lügnerin.


Ich saß in der S-Bahn. Auf dem Weg zu meiner Therapeutin. Die Ärmel weit über meine Handgelenke gezogen. Niemand, keine Menschenseele, sollte den dicken, weißen Verband sehen. Meine schwarz lackierten Fingernägel waren das Einzige, was noch hervorschaute.

Berliner Straße.

Ich stand auf. Sah mich misstrauisch um. Die Leute schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein. Ein junges Mädchen schrieb eine SMS. Ein Mann in Anzug las ein Buch mit dem Titel „Sterben. Das Leben danach“.

Ich musste grinsen. Denn ich glaubte ebenso wenig an ein Leben nach dem Tod wie mein Vater daran glaubte dass ich etwas richtig machen konnte.

Ich stieg aus, lief den Bahnsteig entlang. Vorbei an Obdachlosen, die mir bettelnd einen Pappbecher hinhielten.  Vorbei an spiegelnden Reklametafeln. Vorbei an mir selbst.

Ich senkte meinen Blick. Lief so leise wie es nur möglich war die Treppenstufen hinauf. Stellte meinen iPod aus und lief die Straße entlang zur Hausnummer 70. Nach einem kurzen Zögern drückte ich auf die Klingel. Das Summen ertönte, ich öffnete die Tür und betrat die Praxis.

Die Luft war stickig. Das Lächeln meiner Therapeutin falsch. Ihre auf mich zukommenden Schritte zu groß. Mir wurde unbehaglich.

„Ah, guten Tag, Lexy.“ Sie hielt mir mit einer einladenen Geste die Tür zum Therapiezimmer auf. „Ist Ihnen kalt? Sie sehen so erfroren aus.“

„Nein, alles bestens.“ Von wegen alles bestens, du Lügnerin.

Ich zog meinen Stoffmantel aus, wickelte den Schal ab und  zerrte den Cardigan bis über meinen Daumen.

„Was verstecken Sie vor mir?“ 

Ich sah auf, versuchte verwirrt auszusehen. „Nichts.“

Meine Therapeutin griff mit scharfem Blick nach meinem Arm, den ich ihr mit aller Kraft entziehen wollte. Als sie den Stoff wegschob und der Verband zum Vorschein kam, fing ich leise an zu weinen.

„Das sieht mir aber nicht nach ‚nichts‘ aus.“

„Es tut mir leid“, presste ich hervor ehe ich erneut von

Schluchzern geschüttelt wurde.

„Darf ich mal sehen?“ Sie entfernte die Mullbinde, nahm die blutdurchtränkten Kompressen weg und zog die Luft durch die Zähne ein als sie die genähte Wunde erblickte.  „Lexy.“

Ich reagierte nicht.

„Lexy, schauen Sie mich bitte an.“

Ich tat, wie mir befohlen wurde.

„Wann ist das passiert?“

„Gestern“, rückte ich heraus.

„Zuhause?“

Ich schüttelte den Kopf. „Während einer Vorlesung.“

„Vor den Augen der anderen?“

Mehr oder weniger.

„Haben Sie das getan, um Aufmerksamkeit zu bekommen?“

„Nein. Um Himmels willen, nein!“

„Aber warum dann inmitten der Vorlesung?“

„Weil ich verdammt nochmal keine Kraft mehr hatte mich auf die Toilette zu schleppen.“

„War es Ihnen egal, dass Sie nicht alleine waren?“

Es hat mich nicht gestört. Nichts hat mich gestört. Es war als wäre ich in einer Seifenblase. Ich habe nichts mehr wahrgenommen, außer der kalten Klinge in meiner rechten Hand." Aus einem Augenwinkel heraus erkannte ich dass sie etwas notierte, das wage aussah wie keine Wahrnehmung der Umwelt.

Eine bleierne Schwere legte sich über mich als mich ihre nächste Frage mitten ins Herz traf:

„Haben Ihre Eltern Ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt?“

Oh doch, das haben sie. Und zwar in Form von Schlägen, Vorwürfen und Beschimpfungen.

3 Kommentare:

  1. Hey(:
    Dein neues Blogdesign gefällt mir. Genau wie der Text, ist echt gut geschrieben..
    <3

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  2. Wunderschöner Blog. Ich mag deinen Schreibstil.
    Immer diese Frage nach Aufmerksamkeit... wer sich ernsthaft verletzt tut es nicht um Aufmerksamkeit zu bekommen, aber das scheint kaum jemand zu verstehen.
    Liebe Grüße, Anna

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  3. Das tut mir leid.
    Ich weiß leider nicht mehr zu schreiben, ich wünsche dir viel Kraft.

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